Bildquelle: © Jenny Sturm | adobestock.com

Schultrauma bewältigen lernen

Für ca. 1,6 Millionen Kinder in Bayern geht jetzt die Schule wieder los. Ehrlich gesagt, bin ich heilfroh, dass ich damit durch bin. So wie auch bei mir ist die Schule in vielen Familien Keimzelle zahlreicher frühkindlicher Traumatisierungen. Ein Thema, das allgegenwärtig ist, oft großes Leid anrichtet und seine Schatten bis ins hohe Erwachsenenalter wirft.

Die Schule als Keimzelle vieler Entwicklungstraumata

  • Lehrer, die im Kern ihrer Seele oft selbst verletzte Kinder sind.
  • Bewertungssysteme, die über Bestrafung und Belohnung funktionieren.
  • Ein streng hierarchisches System, das ursprünglich militärischen Zwecken dienen sollte und bis heute für viele –  Direktoren, Lehrkräfte, Referendare, Schüler und Eltern – als Schlachtfeld empfunden wird.

Häufig sind es sehr alte Geschichten, die auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Es sind alte Überzeugungen, die manchmal weit zurück in die Generationen reichen.

Die Schule zählt zu den Keimzellen vieler Trauma-Erfahrungen. Hausaufgaben- und Prüfungsstress, Zeitnot und Überforderung, Leistungsdruck, Bewertungen und Erwartungen fördern ein Klima von Angst, Wut, Trauer, Schuld und Scham. Ein emotional hoch aufgeladenes Feld, aus dem viele am liebsten nur flüchten möchten… geht aber nicht. Schade, denn Flucht gehört zu den natürlichen Antworten auf traumatischen Stress. Weitere Trauma-Antworten sind Kampf oder Einfrieren (sich tot stellen). Allesamt Verhaltensweisen, die in der Schule bekanntlich nicht gut ankommen. Schüler, die nicht ins System passen, werden aussortiert. Man spricht von Schulversagern (häufig hoch-intelligenete junge Menschen!), die chancenlos bleiben, weil man ihnen keine Chance gegeben hat. Dann gibt es natürlich auch die andere Seite: die Lehrer.

Ein überforderter Lehrer alleine macht noch lange kein Trauma

Zum Glück gibt es viele Lehrerinnen und Lehrer, die trauma-sensibel arbeiten und entsprechend unterstützend für das gestresste, belastete oder überforderte Kind sein können. Ebenso gibt es Lehrer, die ohne es zu wissen, mit Herz und Seele ihren Beruf ausüben, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Schüler nicht nur im Lernen zu unterstützen, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Es gibt Lehrer, die ihren Beruf ergriffen haben, weil sie selbst in der Schule litten und es jetzt als Lehrkraft besser machen möchten. Es kann auch sein, dass es ihnen nicht immer gelingt und sie bei Überforderung in frühkindliche Verhaltensweisen zurückfallen. Die meisten von uns erinnern sich an Lehrer, die mit hochrotem Kopf vor der Klasse stehend nur noch lauthals wie ein Kleinkind schreien, weil sie zurück ins eigene Trauma-Erleben rutschen.
Ich erinnere mich sogar an Lehrer, die im Affekt mit Kreide, ja sogar mit Stiften oder ganzen Federmäppchen geworfen haben. Auch solche Impulshandlungen sind typische Traumafolgen!

Wichtig ist es mir, an dieser Stelle zu sagen, dass durch einen aus der Balance geratenen Lehrer noch kein Schultrauma entsteht. Dazu gehört schon etwas mehr. Kurz zur Erinnerung: Man spricht von Trauma, wenn die Seele tief in ihren Grundfesten erschüttert wird. Das müssen nicht unbedingt Gewalterfahrungen sein. Neben körperlichen und emotionalen Bedrohungen sind es vor allem Erfahrungen von Ablehnung, Liebesentzug, Überforderung, nicht gut genug oder allein gelassen zu sein, die traumatische Spuren auf der Seele hinterlassen.

Dazu gehört eine gewisse Ausweglosigkeit, eine Hilflosigkeit oder sogar Ohnmachtserfahrungen. Wenn ein Kind zum Beispiel lernt, egal wie es sich anstrengt, es bekommt nie das Lob oder die Anerkennung des Vaters oder der Mutter, nach der es sich doch so sehr sehnt, wird es irgendwann resignieren und vielleicht gar nicht mehr lernen wollen. Oder es spaltet, die unerträglichen Gefühle von Wut, Trauer, Frust ab und flüchtet (Flucht = Trauma Antwort) in den Kopf. Das heißt, es rationalisiert, entwickelt einen glasklaren Verstand, während das emotionale Herz völlig ausblutet. Ich habe hier bewusst zwei Extreme aufgezeigt, die beide der gleichen Wurzel entspringen. Zum einen den Sitzenbleiber und Schulversager. Zum anderen, den gnadenlosen Durchstarter, der sich bedingungslos ans System anpasst, um überleben zu können. Bei beiden lohnt es sich hinzuschauen, ob sich dahinter ein großes seelisches Leid verbirgt.

Trauma-Antworten sind in der Schule nicht gefragt

Einladung zur Reflexion:

  • Wie hast du deine Schulzeit erlebt? Bist du gut durchgekommen oder hast du Wunden davongetragen?
  • Erinnerst du dich an überforderte Lehrer, die hilflos vor der Klasse standen, gebrüllt haben oder sogar mit Gegenständen geworfen haben?
  • Wie haben deine Eltern auf den Leistungsdruck reagiert? Welchen Stellenwert hatten oder haben schulische Leistungen in deiner Familie?
  • Wie war die Klassengemeinschaft? Warst du mittendrin oder ein Außenseiter? Hattest du gute Schulfreunde oder warst du eher einsam?
  • Wie hast du das Klassenzimmer erlebt? Als Ort der Geborgenheit oder doch zuweilen als „Folterkammer“
  • Wie gehst du heute als Erwachsender mit Leistungsdruck um? Wie ist es, wenn du einen Vortrag, eine Präsentation oder ähnliches halten musst?
    Wie steht es mit Gehaltsverhandlungen, Bewerbungsgesprächen oder anderen Gesprächen mit Vorgesetzen?

Wenn du bei der einen oder anderen Frage in Resonanz gehst, könnte es sein, dass die Wurzel deiner Probleme in der Schulzeit zu suchen ist. In meiner Praxis für ganzheitliche Traumatherapie biete ich eine sensible Aufarbeitung sämtlicher Schulthemen an.

Die Behandlung von Schultraumata – Fallbeispiele

Die Behandlung von Schultraumata nimmt einen großen Teil meiner therapeutischen Tätigkeit ein.

Beispiel 1: Gestern war eine junge Studentin bei mir, deren Eltern ihr schon in der Grundschule verboten hatten, mit den anderen Kindern draußen zu spielen, damit die schulischen Leistungen nicht leiden müssen. Lieber haben sie in Kauf genommen, dass ihre kleine Tochter großen Schmerz erleiden muss, der ihr bis heute auf ihrer Seele liegt. Bis heute denkt sie, nicht gut genug zu sein. Bis heute ist sie der festen Überzeugung, keine normalen Beziehungen haben zu dürfen. Bis heute geht es ihr körperlich wie seelisch schlecht, wenn sie Abgabetermine zum Beispiel für Seminararbeiten im Studium hat. Der Glaubenssatz: „ich bin nicht gut genug“ hat sich so tief auf ihrer psychischen Festplatte eingebrannt, dass sie ihn bis heute regelmäßig und unverändert abspult.

Beispiel 2: Ich erinnere mich auch eine erfolgreiche Unternehmerin, die Panikattacken bekam, wenn sie Mails einer bestimmten Firma in ihrem Postkasten fand. In der Arbeit mit EMDR wurde schnell klar, worum es wirklich ging. Mit einer speziellen Rückgehtechnik haben wir herausgefunden, dass bei ihr ein altes Schultrauma reaktiviert wurde. Zeitdruck, Leistungsstress und dazu der Tonfall der Kundin haben sie zurückkatapultiert in die 80er Jahre als sie noch in der Grundschule war. Die damals 8-Jährige wurde von der Lehrerin genötigt, die Tafel zu putzen, während die anderen alle nach Hause gehen durften. Auch die Lehrerin verließ das Klassenzimmer und sperrte das Mädchen ein. Erst in den späten Abendstunden wurde sie damals vom Hausmeister entdeckt und befreit.

Beispiel 3: Ich erinnere mich an eine Klientin, die als die als Schulkind gezwungen wurde, Sudoku zu machen und solange nicht heim durfte, bis sie schließlich weinend und völlig verzweifelt von den Eltern abgeholt werden musste. Bis heute wird es ihr schwarz vor Augen und sie hat mit Schwindelanfällen zu kämpfen, wenn sie Zahlenreihen sieht … viele weitere Beispiele könnte ich nennen.

Wenn auch du ein Schultrauma hast, oder dich angesprochen fühlst, kannst du dich gerne an mich wenden. Mit meinem ganzheitlichen Ansatz der Traumatherapie unterstütze ich dich gerne bei der Bearbeitung deiner Stress-Themen.

Und da ich ein hoffnungsloser Optimist bin, wünsche ich allen Schülern, Eltern, Lehrern dieser Welt: Einen guten Start ins Schuljahr 2022/2023. Ich drück euch die Daumen für eine traumafreie Schulzeit 😉

Terminvereinbarung